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Medizinische Sammlung

5-Klassen-Medizin?

7966
Abb. 1: Starnadeln im Etui, Inventarnummer 7966

© Institut für Evolutionäre Medizin

Beschreibung

Rechteckiges Holzetui mit braunem Lederüberzug und goldgeprägter Verzierung auf dem Deckel, mittig das Monogramm IIS. Innen mit besticktem Stoff überzogen mit Aussparungen für 5 Starnadeln mit Griffen aus unterschiedlichen Materialien: braunes Holz (Buchsbaum?), Ebenholz, Elfenbein, Silber und Silber vergoldet.

Datierung

Ähnliche Geräte mit kugeliger Endzier bildet bereits Bartisch 1583 ab. Die jüngste Darstellung eines entsprechenden Griffes findet sich bei Heister 1719, obschon er bereits 1713 eine schlichtere Starnadel besprach. Das 17. Jh. ist deshalb eine plausible Annahme.

Okulisten - Standesdenken

Der Starstich war seit der Antike bekannt und wurde bis in die Neuzeit von Spezialisten vorgenommen («Okulisten»), die oft keine formelle medizinische Ausbildung besassen. In seiner einfachsten Form schob man die trübe gewordene Linse mit einem spitzen Instrument aus dem Bereich der Pupille heraus oder entfernte zumindest deren trüben Inhalt. Im besten Fall wurden Licht- und Farbwahrnehmung wiederhergestellt, aber es verblieb eine extreme Fehlsichtigkeit von ca. +15 Dioptrien.

Normalerweise enthalten augenchirurgische Etuis Instrumente unterschiedlicher Art. Hier sind es aber fünf funktional gleichartige Instrumente in unterschiedlicher Ausführung. Leider liess sich keine Quelle finden, die eine eindeutige Erklärung dafür bietet.

Der erste Gedanke, es handle sich um das Präsentationsetui eines Instrumentenmachers, liess sich nicht erhärten. Erstens sind solche eigentlich unbekannt. Auch tragen die Instrumente keine Herstellermarke und es ist auch kein Ort angegeben.

Auf den zweiten Blick fällt auf, dass die verwendeten Materialien der Griffe eine durchgehende Reihe von einfach/billig zu edel/teuer darstellen. Denkt man über das Geschäftsmodel der Okulisten nach, drängt sich ein anderer Gedanke auf.
Okulisten wanderten meistens von Ort zu Ort, boten ihre Dienste an und zogen Wochen oder Monate später weiter, wenn die Kundschaft ausging oder weil sich die Klagen und Schulden häuften. Bei einer Durchsicht einer Zürcher Wochenzeitung des 18. Jh. fanden sich mehrere Anzeigen, in denen wandernde Okulisten ihre Dienste anboten. Zwei Punkte finden sich in den meisten davon angesprochen. Sie verweisen gerne auf hochstehende Personen als Referenzen, auch adelige oder fürstliche, auch wenn sich das für das von Zünften regierte Zürich etwas ungewohnt liest. Gleichzeitig geben sie an, Bedürftige kostenfrei zu behandeln, sofern sie eine entsprechende Bescheinigung ihres Pfarrers, ein sog. «Armutszeugnis» vorweisen konnten.
Das Letztere scheint eine übliche Auflage des Magistrats gewesen zu sein, wenn wandernde Ärzte ihre Dienste in Zürich anbieten wollten. Sein eigentliches Auskommen musste sich der Okulist mit Privatpatienten verdienen, deren Bezahlung Verhandlungssache war, wobei Stand, Vermögen und Prestige der Patienten entscheidende Faktoren darstellten.

Gerade das Standesdenken liess sich in Bares ummünzen. Auch fahrende Schausteller legten in ihren Anzeigen meistens einen festen Preis „für den gemeinen Mann“ fest, während „Herren von Stande nach Belieben geben“ durften oder sogar Privatvorstellungen an einem Ort ihres Wunsches vereinbaren konnten. Auch bei einer medizinischen Behandlung liess sich das Drumherum dem Stand der Kundschaft anpassen. Hausbesuch, Wunschtermin, Anzahl Assistenten, Aufmachung und Benehmen etc. Da wäre es unpassend gewesen, einem angesehenen Zunftmeister mit demselben Instrument ins Auge zu fahren, mit dem Stunden zuvor ein verarmter Siecher behandelt worden war.

Das Set von fünf unterschiedlich edlen Instrumenten hätte es einem Okulisten deshalb ermöglicht, sein gottgegebenes Geschick allen Kranken zuteilwerden zu lassen und trotzdem durch einen gezielten Griff ins Etui vor den Augen aller Anwesenden die ständische Ordnung zu wahren und zu bestärken.

Martin Trachsel