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© Institut für Evolutionäre Medizin
Bei dem imposanten Gerät mit 145 cm Höhe, 210 cm Länge und 80 cm Tiefe handelt es sich um eine sogenannte «Eiserne Lunge», präziser formuliert um einen Drinker-Collins-Respirator aus dem Jahr 1945.
Als «Eiserne Lunge» wird eine bestimmtes Bauprinzip von Beatmungsgerät bezeichnet, das Ende der 1920er Jahre vom amerikanischen Ingenieur Philipp Drinker (1894-1972) zur Marktreife gebracht worden ist. Der Körper des Patienten liegt dabei in einem grossen Druckbehälter und nur der Kopf liegt – durch einen Gummikragen getrennt – an der freien Luft. Im Druckbehälter wird wechselweise Über- und Unterdruck erzeugt, wodurch gegenläufig durch die frei nach aussen führenden Atemwege Luft in den Brustraum gesogen und wieder herausgepresst wird.
Das Gerät kommt zwar «typisch amerikanisch» daher, also gross, laut und aufwändig, ist aber weitgehend frei von sonst typischen Komplikationen wie Druckluftregulierung, Atemmasken, Intubation, Kanülen etc. Trotz mechanischer Unterstützung atmeten die Patienten die Umgebungsluft frei von Schläuchen, Kompressoren und Ventilen. Im Notfall konnte der Elektroantrieb nahtlos mit einer Handkurbel fortgeführt werden. Die Druckkammer war gross genug um zwei Kinder gleichzeitig beatmen zu können, je einen Kopf an jedem Ende (vgl. Abb. 2), Grund genug für den Namenszusatz «Duplex».
Eiserne Lungen dienten zur künstlichen Beatmung von Kindern und Erwachsenen und erlebten ihre grosse Zeit im Kampf gegen die Kinderlähmung. Diese von Polioviren ausgelöste Infektionskrankheit war schon längere Zeit bekannt, begann aber im späten 19. Jh. zunehmend in Epidemien aufzutreten. Sie brach üblicherweise im Alter zwischen 3 und 8 Jahren das erste Mal aus und heilte oft ohne bleibende Schäden ab. Eine überstandene Erkrankung kann aber Jahre oder Jahrzehnte später erneut ausbrechen und zu weiteren Schädigungen führen. Typische Folgeschäden sind Lähmungen, Nervenschäden und Muskelschwund und damit einhergehende orthopädische Probleme. Lebensgefährlich wurde es, wenn die Lähmung das Zwerchfell erfasste und die Atmung auszusetzen drohte. Hier konnte künstliche Beatmung lebensrettend sein, was in einem Werbecomic für die «March of Dimes»-Kampagne aus den 1940ern heroisch ausgemalt wurde.1
Die Einfachheit und Robustheit der Konstruktion erleichterte den Dauerbetrieb der Eisernen Lungen. Vom Hals abwärts gelähmte und in ihrer Atmung eingeschränkte Personen liessen sich von nun an zumindest technisch jahrzehntelang am Leben erhalten. Die Vorstellung eines solch eingeschränkten Lebens begleitet vom rhythmischen Ächzen der Mechanik war Albtraum und letzte Hoffnung zugleich und regte philosophische und literarische Auseinandersetzungen an. Der (echt oder vermeintlich) Gelähmte in der Eisernen Lunge wurde zum Topos der Kriminalliteratur und schaffte es als Darth Vader sogar bis an die Spitze des Science-Fiction-Genres.2
2: Bei dieser Figur denkt man automatisch an jene kleineren Beatmungsgeräte, die nur den Brustkorb in einem sog. Kürass (Brustpanzer) aus Blech einschlossen.
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Mit der US-Armee gelangten die seit den 1930ern in Amerika beliebten «Eisernen Lungen» in grösserer Zahl nach Europa und weckten grosses Interesse in der europäischen Ärzteschaft, die bisher vor allem auf druckluftbetriebene Systeme zurückgegriffen hatte. Um eine der Fr. 12 000 teuren Eisernen Lungen zu erwerben, sammelte das Rote Kreuz des Zürcher Oberlandes und Umgebung 1945 private Spenden und stationierte das Gerät Ende 1945 im Krankenasyl von Wald ZH.3
Neben wenigen Pressemitteilungen zum Thema und drei undatierten Geräteprospekte geben uns zwei Akten in unseren Unterlagen etwas Aufschluss über die Einsatzgeschichte. Das eine ist ein Interview, das 1972 nachträglich mit dem ehemals zuständigen Techniker des Krankenhauses geführt wurde. Das andere sind Fragebögen, die der Chefarzt in Wald bei einer Ausleihe der Eisernen Lunge jeweils mitgab und ausgefüllt zurückerwartete (Abb. 3).
Gemäss beiden Quellen waren die realen Erfahrungen mit der Eisernen Lunge wenig positiv. Von Ende 1945 bis 1950 wurde sie bei rund 70 Patienten in Wald ZH eingesetzt, mehrheitlich Erwachsene mit Poliomyelitis. Aber nur zwei von diesen konnten «vor dem sicheren Tod gerettet» werden. Die meisten starben, manche schon nach Stunden, die übrigen nach wenigen Wochen. Die Beatmung erkaufte zwar wertvolle Zeit, konnte aber «die Progredienz des Leidens» nicht aufhalten, d.h. nach der Lähmung des Zwerchfells fielen immer weitere lebenswichtige Organe aus.
Gemäss den Fragebögen wurde die Maschine von 1952 bis Anfang 1955 regelmässig an andere Spitäler der Region ausgeliehen: Pfäffikon ZH, Wetzikon ZH, Zürich-Neumünster ZH, Lachen SZ, Uznach SG, die entferntesten waren in St. Gallen SG und Luzern LU. Doch meistens wurden sie nur kurze Zeit eingesetzt, weiterhin selten mit erfreulichem Ende.
Ab und zu wurden auch alkoholisiert und unterkühlt aufgefunden Personen für eine Nacht in das Gerät verfrachtet, offenbar mit glücklicherem Ausgang. Nach 1955 fehlen uns Angaben über die Nutzung des Gerätes. 1956/57 begann man in der Schweiz mit den ersten, noch rationierten Polio-Impfungen,4 was die Zahl der Poliofranken rasch senkte. 1960 begannen Impfkampagnen in der DDR, 1962 in der BRD. Im Jahr 1965 gab es in der Schweiz erstmals keine einzige Neuansteckung mehr zu vermelden und 1966 wurde diese Eiserne Lunge unserer Sammlung geschenkt.
3: NICHT an der Heilstätte für Tuberkulöse in der gleichen Gemeinde.
4: http://polio.ch/poliomyelitis/ursache/geschichte/
Martin Trachsel